Quarantäne

Corona schickt so manchen Zeitgenossen ungewollt in die Quarantäne.  Abgeschottet von den Begegnungen mit anderen lebt man wie in einer Klausur, ohne sich das ausgesucht zu haben. Doch hat eine Klausur bei allen Einschränkungen auch ihre Chancen, wenn man sie von einer anderen Perspektive ansieht. Für Teresa von Ávila war die Klausur der Gemeinschaft sogar eines der wichtigsten Ziele ihrer Reformbewegung. Für sie bedeutete die Abgeschlossenheit Freiheit. Denn sie wollte ganz konkret verhindern, dass Fremde von außen in das Leben hineinregieren. Wichtiger aber war ihr spirituelles Anliegen:  sie wollte einen Freiraum schaffen, in dem die Schwestern nicht von Äußerlichkeiten abgelenkt werden, sondern in die Tiefe gehen können. Die Klausur war für Teresa die Wüste der Wüstenväter- und mütter, die Gottsucher in Ägypten und Syrien. Die Wüste war kein Zuckerschlecken, denn in der Einsamkeit kamen alle Gefühle und Gedanken zum Vorschein, die in uns leben. Teresa knüpfte mit ihrer Reform an die Anfänge der ersten Karmeliter auf dem Berg Karmel an, die in Höhlen lebten. Die äußere Klausur des Klosters hat aber nur einen Sinn, wenn sich darin die innere Klausur spiegelt. Es ist die „innere Höhle des Herzens“, in dem der Höchste wohnt und „von wo aus die Worte umkehren, zusammen mit dem Denken, ohne es zu erreichen“ (Henri Le Saux). Meister Eckhard nennt es den „Seelengrund“, eine letzte Einsamkeit, die nicht in Worte zu fassen ist. Er meint damit keine Verlassenheit, sondern die Erfahrung am Urgrund angekommen zu sein, der mich mit Gott und dadurch mit allen anderen, die auf ihm gründen, spirituell zutiefst verbindet.
Diese Gedanken wollen auf keinen Fall die Not überspielen, die Menschen in einer erzwungen Quarantäne verspüren. Diese haben die Klausur nicht freiwillig gewählt und sind gezwungen, so zu leben. Sicher gibt es auch die Momente, wo sie sich eher verlassen als einsam fühlen. Aber in der Situation, wie sie jetzt ist, in der Klausur liegt auch eine Chance zur Vertiefung.

So hat es Jens Söring erlebt, der auch unfreiwillig weggeschlossen wurde – und zwar ins Gefängnis. Söring wurde mehrfach lebenslänglich verurteilt und saß Jahrzehnte lang in verschiedenen Zuchthäusern, weil er in den USA zwei Menschen ermordet haben soll. Er selber versichert seine Unschuld und vermutlich handelt es sich um einen Justizirrtum. Schon allein seine Biographie ist höchst interessant und spannend. Aber noch viel spannender ist, dass Söring in der Isolation nicht verzweifelt ist, sondern das kontemplative Beten gelernt hat. Er hat sich intensiv mit der christlichen Tradition beschäftigt, und sich so sehr im kontemplativen Beten beheimatet, dass er darüber Bücher schreibt. Darin erzählt er von seiner Erfahrungen, wie sich durch die Kontemplation innere, geistige Fesseln gelöst haben und ihm eine innere Freiheit zugewachsen ist.
Söring ist inspiriert vom Jesusgebet, das seine Ursprünge in der Wüste in Ägypten, Syrien und auf dem Sinai hat. Das Jesusgebet ist ja vor allem in der orthodoxen Kirche verbreitet, aber in den letzten Jahren auch bei uns bekannt geworden. Letztlich ist es ganz einfach und doch steckt in ihm das ganze Leben.
Im Jesusgebet geht es konkret um den Rhythmus des Atmens. Der Atem ist ein Bild für unser Leben. Das Einatmen, der Vollzug des Empfangens, zeigt, dass wir alles, was wir brauchen, geschenkt bekommen, das Ausatmen, der Vollzug des Gebens, zeigt, dass wir alles an Gott wegschenken, das wir loslassen dürfen. Und das alles läuft von selbst. Allein schon der elementarste Vollzug des Lebens – ohne Worte – kann zu einem Gebet werden.
Ich kann das Ein- und Aus-Atmen aber auch durch Worte begleiten. Klassisch ist die Gebetsformel: Einatmen:„Herr Jesus Christus“ Ausatmen „erbarme dich meiner“. Doch für manche sind kürzer Gebete passender, z.B. Einatmen „Je“ – Ausatmen „sus“, oder aramäisch „Je-hoschua“, oder „Jah-we“ oder „Du-Ich“. Am Anfang ist es gut, sich für ein Wort  zu entscheiden, mit dem man beten will. Das Wort kann natürlich verändert werden, wenn sich nach einer Weile erweist, dass es für mich doch nicht ganz passend ist. In den Schriften wird geraten, sich eine Zeit am Tag zu suchen, um dieses sich wiederholende Gebet zu beten. Zur Unterstützung dafür kennt die Ostkirche eine Perlenkette, dem Rosenkranz ähnlich. Wenn es mir hilft, kann ich das Gebet anfangs laut beten, dann innerlich im Herzen. Wenn ich es eine Weile lang geübt habe, betet es – wie von selbst – in mir.

Die konkrete Praxis, so einfach sie ist, löst einen inneren Prozess aus, wenn ich mich darauf einlasse. Wenn ich meine Aufmerksamkeit nach innen wende, tauchen zunächst einmal alle Gefühle, Gedanken, Impulse auf, die in mir stecken. Die können mich wegziehen von meiner inneren Ausrichtung und so muss ich immer wieder auch darum bemühen, mein Herz auf Jesus zu lenken. Ziel ist es, in die Tiefe vorzustoßen, um hinter diese Bewegungen zu schauen. Je ruhiger der Geist wird und je weniger er nur um sich selbst kreist, desto klarer enthüllen sich der Seelengrund und die verborgene Gegenwart Gottes. Die  Wüstenväter und – mütter sprechen von der Herzensruhe, griech. Hesychia. Jesu Wort von dem „reinen Herzen, das Gott schauen wird“ war von zentraler Bedeutung. Es ging ihnen dabei nicht um Moral, sondern um das Leerwerden von Eigenem, um so aufnahmefähig zu werden für den Anderen, für Gott.
Von den Wüstenvätern stammt auch der Vergleich der Seele mit einem See, auf dessen Grund ein Schatz liegt. Wenn das Wasser aufgewühlt ist, dann können wir nicht auf den Grund schauen. Der Geist, kann durch äußere Umstände aufgewühlt sein, so wie z.B. durch Schiffe oder ein Sturm einen See in Turbulenzen bringen. Aber auch von Innen kann die Unruhe kommen; dann wird Schlamm aufgewirbelt, der die Sicht bis zum Grund trübt. Ziel ist es,  aus der Zerstreuung durch Gefühle und Gedanken in die Sammlung zu kommen und hinter die Worte und Bilder, die inneren Impulse  zu schauen, eben auf den Seelengrund, in dem Gott zu Hause ist.

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