Eine der schönsten Auferstehungsgeschichten ist die Begegnung Jesu mit Maria Magdalena im Garten. Maria ist bewegt, weint, trauert. Ihre Gefühle verschleiern den Blick auf Jesus, den sie zunächst nicht erkennt. Aber als Jesus sie beim Namen nennt und sie in ihrem Innersten berührt, klärt sich ihr Blick. Sie erkennt Jesus und doch entzieht er sich im selben Moment, da sie ihn zu fassen bekam. Maria kann diese Jesusbegegnung nicht festhalten. All das geschieht in einem Garten, was sich daraus schließen lässt, dass Maria Jesus mit einem Gärtner verwechselt.
Es ist eine wunderbare Geschichte, die davon erzählt, wie wir Jesus übersehen, weil wir in unseren Emotionen und Gedanken gefangen sind und ihn einfach nicht erkennen, obwohl er bei uns ist. Es ist auch eine Geschichte einer tiefen Gotteserfahrung, in der Gott uns im Herzen trifft und ihn zugleich nicht besitzen können, sondern wieder loslassen müssen, da sie etwas Lebendiges ist.
Ich möchte heute den Focus auf den Ort lenken, in dem das alles geschah: den Garten. Gärten tauchen in der Bibel immer wieder auf. Es sind Orte großer Vertrautheit und Nähe, geschützte Räume, in denen die alltäglichen Sorgen und Ängste zurücktreten, und Wesentliches zum Zug kommen kann.
Das gilt für den Garten Eden, den Gott für den Menschen angelegt hat. Im Paradies hat er alles, was er braucht, geht vertraut mit der Schöpfung und mit Gott um. Dieser Paradiesgarten ist ein Urbild von Harmonie und Miteinander. Es ist auch ein Sehnsuchtsbild, das in unser Herz eingeschrieben ist und das uns auf eine innere Reise schickt, auf der Suche nach einem solchen Paradies.
Manche suchen das Paradies im Außen: von dieser Sehnsucht lebt der Tourismus, der uns Paradiesinseln in den Malediven, Thailand oder Karibik verspricht.
Jesus spricht vom Reich-Gottes, das in uns und unter uns ist, wenn Menschen sich für die Liebe öffnen. Das Reich Gottes, das Paradies, ist also kein äußerer Ort, sondern eine bestimmte Lebensart.
Ganz am Ende schildert die Bibel wieder einen Garten. Denn das himmlische Jerusalem ist mit Bäumen bepflanzt – so wie einst das Paradies. „Hier stehen Bäume des Lebens. Zwölfmal tragen sie Früchte, jeden Monat einmal; und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker“, heißt es im Buch der Offenbarung 22,2.
Das Ende gleicht also in einer gewissen Weise dem Anfang, doch liegt der große Unterschied in all dem, was zwischen Paradies und himmlischen Jerusalem geschehen ist.
Ein Garten spielt auch im Hohelied der Liebe eine zentrale Rolle. Das Buch schildert die Liebe einer Frau und eines Mannes, die sich verlieben, im Herzen berühren, verlieren, suchen und wiederfinden und sich vereinen.
Dieses biblische Buch ist im Laufe der Geschichte unterschiedlich ausgelegt worden. Manche Exegeten sehen darin ein profanes Liebesgedicht, das aus Versehen in die Bibel gekommen ist. Andere deuten das Buch als eine Allegorie für das Verhältnis Gottes zum Volk Israel – in Anlehnung an die Propheten, die immer wieder die Beziehung Jahwes zu seinem Volk mit der Beziehung von Braut und Bräutigam vergleichen.
In der christlichen Mystik ist das Liebesgedicht eine Metapher für die Liebe Gottes zu der Seele des einzelnen Menschen. Mit Hilfe dieses Vergleichs spricht z.B. Johannes vom Kreuz von seinen Gotteserfahrungen. Er beschreibt, wie sehr er von Gott im Herzen berührt wurde – wie Maria Magdalena durch den Anruf Jesu. Doch Johannes kennt auch die Erfahrung, die Maria Magdalena erst lernen muss, dass diese Nähe und Intensität nicht festzuhalten sind. Die Abwesenheit des Geliebten schmerzt und löst eine tiefe Sehnsucht aus. „Wo hast Du dich verborgen Geliebter“, ruft Johannes im Geistlichen Gesang aus und beschreibt in Bildern und Metaphern die Suche nach Gott in der Schöpfung, unter den Menschen, in den heiligen Schriften und der eigenen Seele.
Diese Sehnsucht und Suche, das Finden und die mystische Hochzeit, all das geschieht – wie gesagt – im Garten. Der Garten wird hier zu einem Sinnbild für einen Ort in meinem Herzen, einen Schutzraum in meinem tiefsten Seelengrund, in dem ich so wie ich bin vor Gott stehe.
Diese Gartengeschichten passen so wunderbar zur augenblicklichen Jahreszeit. Gerade erblühen die Sträucher und Bäume, Knospen öffnen sich und zarte Blätter kommen zum Vorschein.
Die Zeit lädt uns förmlich ein, einmal meditativ durch unsere Gärten zu streifen und sich am Erwachen der Natur zu erfreuen. Vielleicht werden in Ihnen dann auch die Bilder der Bibel lebendig, die ich beschrieben habe: die Begegnung von Maria Magdalena und Jesus, der Suche der Seele nach Gott, von der das Hohelied erzählt und der Harmonie des Paradieses, ein Archetyp, der uns eine innere Orientierung gibt, wie unser Zusammensein aussehen könnte.
All diese Bilder und Geschichten wollen lebendig werden in meinem Leben.