Allerheiligen

Allerheiligen ist in der katholischen Kirche ein Hochfest im liturgischen Kalender. Der Tag erinnert uns daran, dass es Dimensionen der Wirklichkeit gibt, die über unseren Alltagrealismus hinaus gehen. Wir sind eingehüllt in eine „Wolke von Zeugen“ (Hebr 11, 1). Zusammen mit Allerseelen lenkt dieser Tag den Blick auf die Ahnen im Glauben.

  1. Ursprung des Festes

Seinen historischen Ursprung hat dieses Fest in Irland. Die irischen Missionare brachten es auf das europäische Festland und setzten es in der ganzen römischen Kirche durch. Die vom Keltentum geprägten Christen übernahmen das uralte Neujahrsfest der Kelten. Die Nacht davor, die Schwelle zum neuen Jahr, war für die Kelten eine „dünne Zeit“, in der sich der Schleier zur Anderswelt lichtete. Dort wo die Grenzen unseres  Verstandes aufgehoben sind, wenn wir am Tag oder nachts träumen oder unserer Phantasie freien Lauf lassen, kann diese Anderswelt in unser Bewusstsein eintreten. Innere Bilder, Erinnerungen, Vorstellungen  ….
Für die Kelten war es die Welt der Götter und Ahnen, später verkam sie zur Welt der Schreckgespenster und Monster, in deren Verkleidung heute Kinder an Halloween (All – Hallows – Evening: Allerheiligen Vorabend) durch die Straßen ziehen.

Praktischer Impuls:
Allerheiligen– als dünne Zeit –  lädt uns ein, inneren Bildern Raum und Zeit zu schenken. In der Stille kann ich die Menschen erinnern, die mich auf meinem Weg bestärkt und weitergeführt haben. Es können Menschen sein, denen ich im Laufe des Lebens real begegnet bin oder Menschen, die ich vermittelt kennen gelernt habe. Vor meinem inneren Auge lasse ich sie auf einer Bühne auftreten. Wer fällt mir ein? Wer steht mir nah? Wer fern? Vielleicht kann ich ein Bild malen, das mir deutlich macht, wie ich in Beziehungen eingebunden bin. Alle diese Menschen und das Netzwerk meiner Beziehungen bringe ich im Gebet vor Gott.

  1. Heilige

An Allerheiligen feiern wir alle Heiligen, die keinen eigenen Festtag haben. Das Zweite Vatikanische Konzil hat uns daran erinnert, dass alle Christen zur Heiligung berufen sind. Wir sollten die Heiligen also nicht auf ein Podest setzen, so dass wir uns selber klein und unscheinbar vorkommen. Nein, die Heiligen erinnern uns nur an eine Dimension, die auch zu unserem Leben gehört.
Aber welche Dimension ist das?

„Wann wird die Wunde wieder heil“ fragt das Kind mit dem verletzten Knie. Heil-sein und Heilig-sein hat mit einander zu tun. Im Englischen hat das Wort für „heilig“ (holy) mit „ganz“ (whole) zu tun und macht den Zusammenhang deutlich: Es geht darum, im Leben ganz zu werden, d.h. sich zu versöhnen mit den Wunden, die das Leben geschlagen hat und mit meinen Schatten, die ich so gerne verleugne.

Heilige sind keine moralischen Perfektionisten, sondern Menschen, die mit sich selbst in Übereinstimmung gekommen sind. Sie sind nicht an Äußerlichkeiten hängengeblieben, d.h. sie haben sich nicht mit ihren Wünschen, Ideen, Rollen, Aufgaben, einzelnen Eigenschaften und Erlebnissen identifiziert. Vielmehr sind sie ihrem tiefsten Selbst begegnet und haben daraus gelebt.

Von den Heiligen können wir lernen, dass wir im Grund unserer Seele heil sind. Wir müssen uns die Heiligkeit nicht erarbeiten, sondern „nur“ dafür wach werden. Alle Hindernisse, Zerstreuungen und Widerstände, die uns von dieser „Quelle lebendigen Wassers“ zurückhalten, gilt es zu überwinden und loszulassen.

Viele Heiligenbiographien bezeugen, dass man das nicht einfach „machen“ kann. Sie erzählen von einem Prozess, der immer wieder neu herausfordert, sich Gott im Vertrauen zu überlassen. Darauf kommt es an. Dazu gehört auch, den Unglauben vor der eigenen inneren Größe zu überwinden.

„Heilig ist der Herr, der Allmächtige“ (Off 4,8), rufen die Heiligen in der Offenbarung des Johannes.  Zwischen Gott, dem Heiligen und dem Selbst-Werden gibt es einen Zusammenhang. Davon sprechen die Mystiker. Auf dem Seelengrund (Meister Eckhart), in der innersten Wohnung (Teresa von Avila), im Herzensschrein (Angelus Silesius) ist Gott zu Hause. „Er ist mir innerlicher als ich mir selbst bin“, sagt Augustinus in seinen Bekenntnissen.

Praktischer Impuls:

Ich nehme mir Zeit für eine Imaginationsübung. Ich kann mir vorstellen, wie in meinem Inneren ein helles und warmes Licht brennt, vielleicht wie ein Lagerfeuer in einer Höhle. Ein Bild für Gott. Dieses Licht will mich von innen her erfüllen und mir alle Finsternis nehmen. Wenn ich mir das Licht vorstellen kann, achte ich auf meine Reaktionen. Kann ich diese Vorstellung zulassen? Kann ich mir vorstellen, dass ein solches Licht meine Finsternisse erhellt? Gibt es Widerstände? Welche Bewegungen löst das Bild in mir aus? Alles was auftaucht, bringe ich dann im Gebet vor Gott.

  1. Fruchtbringen

Heilige sind keine Superhelden, sondern schwache und bedürftige Menschen wie wir. Doch da sie die Verbindung mit Gott lebten, konnten sie Dinge vollbringen, die undenkbar schienen und anderen wie Wunder vorkamen.  Teresa von Ávila z.B. hatte kein Geld in der Tasche und gründete doch 17 Klöster in ganz Spanien, sie war oft sehr krank und übernahm doch die Leitung einer spirituellen Bewegung, sie durfte nicht Theologie studieren und bekam doch von Papst Paul VI den Titel einer „Kirchenlehrerin“.  Das Geheimnis der Heiligen war es, sich in der eigenen Schwachheit Gott zur Verfügung zu stellen. „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“, (2. Korinther 12,9) reflektiert Paulus seine eigenen Erfahrungen.

Praktischer Impuls:

Sich Gott zur Verfügung  zu stellen, das bedeutet für jeden etwas anderes, denn es geht um das ganz Persönliche. Auch in jedem Lebensalter kann es noch einmal etwas anderes heißen. Was immer es auch ist, ich bin aufgerufen,  es zu leben. In einer Meditation kann ich über Jesus nachsinnen und mich fragen, was mich an seinem Tun und Leben besonders anspricht. Was vom Evangelium will in meinem Leben gelebt und verwirklicht werden. „Lebe das, was du vom Evangelium verstanden hast. Und wenn es noch so wenig ist. Aber lebe es.“ (Roger Schutz)

Hans-Joachim Tambour

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