Die Quelle

Zum 2. Advent ein Impuls zu Johannes vom Kreuz, dem spanischen Mystiker, Weggefährte von Teresa von Ávila. Seine Mystik der Nacht passt zur Adventszeit. Es ist ja eine Zeit, in der unser ganzes Leben, mit seinen ungetrübten und schmerzhaften Momenten thematisiert wird.

Die Tage im Dezember sind die dunkelste Zeit im Jahr. Die Natur ist ein Bild für unsere Erfahrungen von Finsternis: Leid, Einsamkeit, Schuld, Verlust, Gottesferne …  Gerade in der Coronazeit, die Begegnungen verunmöglicht, werden diese Nachtelemente besonders spürbar. Aus dieser Nacht kommen wir. Und wenn wir die Kerzen am Adventskranz entzünden, Lichter, die dieses Dunkel erhellen, drückt sich darin die Sehnsucht nach dem Licht aus. An Weihnachten feiern wir schließlich unser Vertrauen, dass das Licht der Welt, Jesus, die Dunkelheit erhellt hat, weil er selbst in sie hineingegangen ist. Doch von Herzen Weihnachten feiern, können wir nur, wenn wir auch durch unsere eigene Nacht gegangen sind.

Der Theologe der Nacht ist Johannes vom Kreuz. Er hat eine tiefe Krise erlebt, als er im  Widerstand gegen seine Reformbemühungen von seinen Ordensmitbrüdern in Beugehaft genommen wurde und im Kerker in Toledo unter unmenschlichen Bedingungen hauste. Der Videokünstler Bill Viola hat diesen Verschlag rekonstruiert. Wenn man seine Installation sieht, lässt sich ahnen, in welcher Beengung Johannes über neun Monate leben musste. In dem Raum kann man sich kaum aufrichten und bewegen, ja kaum atmen.
Bill Violas Kunstwerk hält alles in Schwarz, ein Bild für die Nacht, die in Johannes Herzen herrschte. Fahles Licht deutet auf dem Boden ein Kreuz an. In der Ferne sieht man auf einer Leinwand Bilder von Bergen, Symbole der Weite und Erhabenheit, Andeutungen der Größe Gottes.
Im Kontrast zu den kalten Farben ist der Raum, in dem Johannes gefangen wurde, in warmes Licht getaucht. Wenn man sich Bill Violas Nachbildung des Gefängnisses nähert, hört man spanische Worte, Texte von Johannes, Texte über die Nacht. Und man sieht einen Tisch, auf dem ein Krug mit Wasser und ein Glas stehen. Außerdem steht ein Bildschirm auf dem Tisch, der die Berge, die den Hintergrund von allem bilden, nochmals im Kleinen zeigt. Es ist, als wenn Johannes in der Enge der Zelle wie durch ein Guckloch die tatsächliche Weite des Himmels erfahren hat.
Bill Viola bringt Johannes´ Nacht – und Gotteserfahrung anschaulich und anrührend ins Bild. In neun Monaten Dunkelheit, Demütigung und Isolation in der Zelle von Toledo zerrannen dem Ordensmann alle inneren Sicherheiten wie Sand zwischen den Händen; doch am tiefsten Punkt angelangt, mitten in der Nacht, hatte Johannes eine umstürzende Gotteserfahrung. Ihm tat sich ein Blick in die Weite Gottes auf – versinnbildlicht in dem Monitor auf dem Tisch. Er spricht von einer verborgenen Quelle, die sich ihm eröffnete und deren Macht ihn erschütterte  – angedeutet durch den Wasserkrug. Johannes erlebte, dass sich der Strom dieser Quelle in ihn ergoss und er sich so mit dieser Quelle vereinte. Er fand die Quelle, die ihn für den Rest seines Lebens und Wirkens mit lebendigem Wasser speiste. Im Rückblick kann er sogar sagen, dass die Krise ihm geholfen hat, alle Bilder und Konzepte von Gott zu lassen, um hinter diesen Konstruktionen Gottes Geheimnis zu berühren. Noch unter den erbärmlichen Haftbedingungen im Gefängnis schreibt er die wichtigen Gedichte seines Lebens, den Geistlichen Gesang und das Gedicht von der verborgenen Quelle.

Johannes schreibt, dass er um die Quelle weiß, auch wenn es Nacht ist. Es geht ihm nicht um intellektuelle Erkenntnis, ein Vielwissen oder Besserwissen, das man sich durch Studium erarbeiten kann. Es geht ihm um eine Gewissheit der Gegenwart Gottes, die in der Begegnung mit ihm geschenkt wird. Es ist ein wissendes Nicht-Wissen, eine Weisheit, die aus Lebenserfahrungen erwachsen ist.


Wie gut weiß ich den Quell,
der fließt und strömt,
obwohl es Nacht ist.

Ja, jene ew’ge Quelle ist verborgen.
Doch weiß ich gut, wo ihre Bleibe ist,
obwohl es Nacht ist.

Den Ursprung kenn ich nicht, denn sie hat keinen.
Doch aller Ursprung stammt aus ihr. Ich weiß es,
obwohl es Nacht ist.

Ich weiß, daß nichts so schön sein kann wie sie,
daß Himmel und die Erde aus ihr trinken,
obwohl es Nacht ist.

Ich weiß, es findet sich kein Grund in ihr,
und keines Menschen Fuß kann sie durchwaten,
obwohl es Nacht ist.

Die Klarheit, die sie hat, wird nie verdunkelt,
und alles Licht – ich weiß es – stammt von ihr,
obwohl es Nacht ist.

Ich weiß, daß ihre Ströme, reich an Wasser,
die Hölle, Himmel und die Völker tränken,
obwohl es Nacht ist.

Der Strom, den dieser Quell aus sich entläßt
ist mächtig, ja allmächtig, wie ich weiß,
obwohl es Nacht ist.

Dem Strom, der aus den beiden hier hervorgeht,
ich weiß’s, geht keiner von den zwein voran,
obwohl es Nacht ist.

Ja, diese ew‘ge Quelle ist verborgen
in diesem Brot, um Leben uns zu geben,
obwohl es Nacht ist.

Von hier wird alle Kreatur gerufen,
und dieses Wasser sättigt sie – im Dunkeln,
weil es ja Nacht ist.

Den Lebensquell, nach welchem ich mich sehne,
in diesem Brot des Lebens seh‘ ich ihn –
jedoch bei Nacht.

Johannes vom Kreuz

 

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